Die großen Notenbanken EZB und Fed stehen aktuell mit ihrer Zinspolitik aktuell in einem Spannungsfeld: Auf der einen Seite soll die Inflations auf den Zielwert von 2% reduziert werden. Auf der anderen Seite geht es um Stabilität des Arbeitsmarktes und der Wirtschaftsdynamik. Beide Notenbanken befinden sich in einem Zinssenkungszyklus mit unterschiedlicher Intensität. Die wichtigste Frage am Finanzmarkt ist die Frage nach dem Terminalzins, dem neutralen Zins (r*), der final am Ende der Zinssenungen stehen wird. Vermutlich wird der Leitzins in Europa Ende 2025 deutlich niedriger stehen als in den USA. Die Wirtschaft in Amerika ist deutlich besser positioniert als in Europa. Die Fed würde mit einer aggressiven Zinssenkung nur die Wirtschaft weriter anheizen.

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In der Geldpolitik der großen Notenbanken spielt der neutrale Zins eine zentrale Rolle. Er definiert das Zinsniveau, bei dem die Wirtschaft weder stimuliert noch gebremst wird. Besonders im Zusammenhang mit den Leitzinssenkungszyklen der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Federal Reserve (FED) erhält dieses Konzept neue Bedeutung. Die Identifikation und Steuerung in Richtung dieses Gleichgewichtszinses sind entscheidend, um wirtschaftliche Stabilität zu gewährleisten, ohne Inflation oder Rezession zu begünstigen.

Wieso ist der neutrale Zins (r*) indem aktuellen Leitzinssenkungszyklus der EZB von Bedeutung?

Der neutrale Zins spielt im aktuellen Leitzinssenkungszyklus der Europäischen Zentralbank eine entscheidende Rolle, da er als Orientierungspunkt für eine ausgewogene Geldpolitik dient. Dieses Zinsniveau beschreibt den Punkt, an dem die Wirtschaft weder stimuliert noch gebremst wird. Die EZB nutzt den neutralen Zins, um ihre Maßnahmen so auszurichten, dass sie die wirtschaftliche Erholung unterstützt, ohne das Risiko einer Überhitzung oder einer neuen Inflationsdynamik einzugehen.

Im Zuge der jüngsten Zinssenkungen ist es das Ziel, restriktive Finanzierungsbedingungen schrittweise zu lockern. Gleichzeitig sorgt die Orientierung am neutralen Zins dafür, dass die Inflation langfristig im Zielbereich von 2 % bleibt. Eine zu starke Abweichung nach unten könnte zu einer übermäßigen Stimulierung führen, während eine zu geringe Annäherung die Wirtschaft weiterhin belasten würde.

Die Annäherung an den neutralen Zins ermöglicht es der EZB, das Wirtschaftswachstum zu fördern, indem Investitionen und Konsum durch günstigere Finanzierungsbedingungen gestärkt werden. Dadurch trägt der neutrale Zins nicht nur zur Stabilisierung der Konjunktur bei, sondern bietet auch eine Grundlage für nachhaltige Preisstabilität und langfristiges Wirtschaftswachstum.

Definition, Theorie und Ziele des neutralen Zins

Der neutrale Zins beschreibt ein theoretisches Zinsniveau, bei dem die Wirtschaft weder stimuliert noch gebremst wird. Dieses Gleichgewichtszinsniveau wird auch als natürlicher oder struktureller Zins bezeichnet und ist ein zentraler Begriff in der Volkswirtschaftslehre. Der neutrale Zins stellt einen Referenzpunkt dar, an dem die Wirtschaft stabil wächst und die Inflation auf einem Zielwert bleibt.

In der Theorie entspricht der neutrale Zins dem Zinsniveau, bei dem die tatsächliche Wirtschaftsleistung dem potenziellen Produktionsniveau entspricht. Dabei bleibt die Inflation stabil, typischerweise bei 2 %, ohne dass geldpolitische Maßnahmen zusätzliche Anreize schaffen oder Wachstumsbremsen setzen. Der neutrale Zins wird durch langfristige ökonomische Faktoren bestimmt. Dazu gehören das Produktivitätswachstum, die demografische Entwicklung, Spar- und Investitionsneigungen sowie globale Finanzbedingungen.

Eine wichtige Eigenschaft des neutralen Zinses ist, dass er weder direkt beobachtbar noch eindeutig messbar ist. Stattdessen wird er mithilfe komplexer ökonomischer Modelle und Schätzungen abgeleitet. Diese Modelle berücksichtigen langfristige Trends und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, um das Gleichgewichtszinsniveau zu bestimmen.

Der neutrale Zins spielt eine entscheidende Rolle für die Geldpolitik von Zentralbanken wie der Europäischen Zentralbank (EZB) oder der Federal Reserve (FED). Liegt der Leitzins unterhalb des neutralen Zinses, wird die Wirtschaft stimuliert. Investitionen und Konsum steigen, was in Wachstumsphasen oder Rezessionen förderlich ist. Ein Leitzins oberhalb des neutralen Zinses hat hingegen eine bremsende Wirkung. Er dient der Bekämpfung von Überhitzung und Inflation.

Zusammenfassend stellt der neutrale Zins das ideale Zinsniveau dar, bei dem die Wirtschaft langfristig stabil bleibt. Er ermöglicht Notenbanken eine Orientierung für ihre geldpolitischen Entscheidungen und hilft, ein gesundes Wirtschaftswachstum zu fördern.

Kritik

Die Theorie des neutralen Zinses steht zunehmend in der Kritik, da sie auf mehreren Annahmen beruht, die in der Praxis schwer überprüfbar sind. Ein zentraler Kritikpunkt ist, dass der neutrale Zins weder direkt messbar noch eindeutig bestimmbar ist. Er basiert auf ökonomischen Modellen, die langfristige Faktoren wie Produktivitätswachstum und Sparverhalten einbeziehen, jedoch stark von Schätzungen und Annahmen abhängen.

Ein weiterer Vorwurf betrifft die Unflexibilität der Theorie in dynamischen Wirtschaftsumfeldern. Kritiker argumentieren, dass der neutrale Zins keine kurzfristigen Schocks oder strukturellen Veränderungen, wie etwa technologische Umwälzungen oder geopolitische Krisen, adäquat berücksichtigt. Auch die Abhängigkeit von exogenen Faktoren, etwa dem globalen Finanzsystem, erschwert eine präzise Anwendung.

Zudem wird bemängelt, dass die Theorie den Einfluss sozialer und politischer Dynamiken auf die Wirtschaft ignoriert. Dies könnte zu Fehleinschätzungen führen, insbesondere in Krisensituationen, in denen schnelle Anpassungen der Geldpolitik notwendig sind.

Literatur

Fratscher M. 2024: Geldpolitik: Mehr Mut zur Zinswende!

Jordan T., J. 2024: Der neutrale Zinssatz (r*) als Referenzpunkt für die Geldpolitik – eine Betrachtung aus der Praxis